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Deutschlands Autobranche hat die Talsohle noch nicht erreicht

Zu hohe Kapazitäten, zu niedrige Nachfrage, das Damoklesschwert US-Zölle: Deutschlands Automobilindustrie ist auf einer Marterstrecke unterwegs.

Zu hohe Kapazitäten, zu niedrige Nachfrage, das Damoklesschwert US-Zölle: Deutschlands Automobilindustrie ist auf einer Marterstrecke unterwegs. Stellenstreichungen, Werksschließungen, Produktionsverlagerungen und sinkende Gewinne der Hersteller und Zulieferer sind die Folge. „Deutschlands Vorzeigebranche hat die Talsohle noch nicht erreicht“, sagt Jens Stobbe, Manager Risk Services beim internationalen Kreditversicherer Atradius. 

Nachdem die Automobilproduktion in Deutschland 2023 durch Nachholeffekte in Folge der Corona-Pandemie um 13,1 Prozent stieg, befindet sie sich seither im Abwärtstrend. 2024 ging die Produktion um 5,7 Prozent zurück. Für 2025 erwartet Atradius ein weiteres Minus von 5,0 Prozent und für 2026 von weiteren 2,6 Prozent. „Noch können sich die Hersteller diese Schwächephase durch das in der Vergangenheit aufgebaute finanziellen Polster leisten, doch die Luft wird dünner“, sagt Jens Stobbe. Vier-Tage-Wochen und Gehaltsverzicht seien vor diesem Hintergrund lediglich Überbrückungshilfen. Tatsächlich müsste sich die deutsche Automobilindustrie aber neu erfinden oder zumindest einer Schlankheitskur unterziehen. “In vielen Werken laufen deutlich weniger als die mögliche Produktionsmenge vom Band – eigentlich besteht die Notwendigkeit zu drastischen Einschnitten wie Werksschließungen, um profitabel zu sein.“ Doch dies sei politisch schwer umzusetzen. Dennoch dürfte auch in diesem Jahr die Zahl der Stellenstreichungen in der deutschen Automobilindustrie das Niveau von 2024 erreichen, glaubt Jens Stobbe. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland 19.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie abgebaut. 

Auch mit Blick auf die EU sieht es nicht besser aus. Nach einem Rückgang um 5,1 Prozent im vergangenen Jahr erwartet Atradius für die Automobilproduktion in der EU einen erneuten Rückgang um 3,7 Prozent. Die Wirtschaftsleistung in Europa bleibt gedämpft und zudem dürften die Neuwagenkäufe in den kommenden Monaten weiterhin schwach bleiben, da die Verbraucher in der aktuellen konjunkturellen Lage große Anschaffungen aufschieben. Für 2026 wird nur eine leichte Erholung von 0,4 Prozent prognostiziert.

Absatzschwäche der Hersteller trifft Zulieferer hart

Hart trifft es vor diesem Hintergrund aber nicht nur die Hersteller, sondern insbesondere auch die Zulieferer. Sie sind von den Absatzplänen der Automobilhersteller abhängig. Und die Autobauer werden angesichts der eigenen angespannten Lage voraussichtlich nicht mehr so großzügig bei der Zahlung von Schadens- oder Ausgleichszahlungen sein, um schwächelnde Zulieferer zu stützen. Die Folge: Deren Aussichten haben sich deutlich eingetrübt. Nach den Beobachtungen von Atradius sind derzeit sinkende Margen und zunehmende Zahlungsverzögerungen sowie Insolvenzen in wichtigen Märkten wie Deutschland, Italien und Großbritannien zu beobachten.

Weitere Probleme entstehen der Branche durch die Transformation des Marktes von Verbrennungsmotoren zum Elektroantrieb. Viele Tier-2- und Tier-3-Zulieferer würden Atradius zufolge nicht über die technologischen oder finanziellen Mittel oder beides verfügen, um sich in der Wertschöpfungskette zu verändern. „Sie könnten dadurch in den kommenden Jahren gezwungen sein, den Markt zu verlassen“, fürchtet Jens Stobbe. Weitere Risiken stellen auch die US-Importzölle sowie die schärfer werdende Wettbewerbssituation durch chinesische E-Autohersteller dar. 
 

US-Zölle sind ein großes Risiko für die Branche

Im Jahr 2023 stammten 20 Prozent des Wertes der EU-Automobilausfuhren aus Verkäufen in die USA. Die deutsche und italienische Automobilindustrie sowie die Lieferketten in mittel- und osteuropäischen Ländern wie der Tschechischen Republik und der Slowakei sind durch restriktivere Zölle am stärksten gefährdet. „Wir schätzen, dass die deutschen und italienischen Automobilausfuhren infolge der US-Zölle im Jahr 2025 um mehr als fünf Prozent sinken könnten“, so Jens Stobbe weiter. 

Die Kombination aus sinkender Exportnachfrage und sinkenden Gewinnmargen könnte die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen sowie mittel- und osteuropäischen Automobilindustrie, die bereits unter Druck steht, erheblich beeinträchtigen. Eine Umleitung der Exporte auf andere Märkte sei nach Angaben von Atradius bestenfalls eine Teillösung. Die Umsatzverluste in den USA können für die europäischen Unternehmen kaum durch die Verlagerung des Exports in andere Märkte kompensiert werden – zu groß sind die Unterschiede in der Marktnachfrage, bei den Verbraucherwünschen, den logistischen Hindernissen, den unterschiedlichen regulatorischen Vorgaben oder dem starken Wettbewerb etwa durch China oder Südkorea.

Vorteil chinesischer E-Autohersteller gegenüber Europas Wettbewerbern

Der aktuelle Vorteil chinesischer E-Autohersteller gegenüber ihren europäischen Konkurrenten besteht Atradius zufolge darin, dass sie günstigere Modelle anbieten und in der Regel schneller Fehler beheben und sich zügiger an Marktbedingungen anpassen können. Um dem entgegenzuwirken, müssten deutsche und europäische Hersteller in naher Zukunft mehr Elektrofahrzeuge im unteren und mittleren Preissegment anbieten. Um die europäische Automobilindustrie zu schützen, hat die EU Strafzölle auf chinesische EV-Importe verhängt. Diese EU-Zölle könnten die Dynamik der chinesischen Importe verlangsamen und den europäischen Herstellern ein Zeitfenster für die Einführung einer neuen Generation wettbewerbsfähigerer Fahrzeuge verschaffen. Allerdings, so Jens Stobbe, könnten chinesische Autobauer auch ihre Pläne zur Lokalisierung der Produktion in Europa beschleunigen. 

 

 

Für weitere Informationen:

Atradius Kreditversicherung

Niederlassung der Atradius Crédito y Caución S.A. de Seguros y Reaseguros

 

Astrid Goldberg   

Pressesprecherin

Telefon: +49 (0) 221 2044 - 2210

E-Mail: astrid.goldberg@atradius.com 

 

Stefanie Heilken

Pressereferentin

Telefon: +49 (0) 221 2044 – 1034

E-Mail: stefanie.heilken@atradius.com 

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