Höchstes Zahlungsrisiko innerhalb der Lebensmittelindustrie. Zahl der Insolvenzen könnte in diesem Jahr steigen
Köln, 28. Februar 2024 – Die Deutschen essen immer weniger Fleisch: Im vergangenen Jahr könnte der Pro-Kopf-Verbrauch von Schwein, Rind, Huhn und Co. sogar unter die Marke von 50 Kilogramm gesunken sein. 2022 aßen die Deutschen nur noch 52 Kilogramm pro Jahr – vier Kilo weniger als 2021. Der Rückgang hat gravierende Folgen für die Fleischverarbeiter. „Von den Unternehmen der Fleischbranche geht derzeit das höchste Zahlungsrisiko innerhalb der Lebensmittelbranche aus“, sagt Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central and East Europe beim internationalen Kreditversicherer Atradius. So nahmen die Nichtzahlungsmeldungen nach Lieferungen an deutsche Unternehmen der Fleischbranche in 2023 um 28,8 Prozent zu gegenüber 2022.
Aus Sicht von Atradius ist die Fleischindustrie innerhalb der Lebensmittelbranche derzeit am risikoträchtigsten. Im Bereich Lebensmittel und Getränke verschlechterte sich die Zahlungsmoral zwar insgesamt mit einem Anstieg der Nichtzahlungsmeldungen um rund 18 Prozent (2023), aber insgesamt deutlich weniger stark als bei den Schlachtern, Fleischverarbeitern oder -händlern. Im Segment Obst und Gemüse blieb das Zahlungsrisiko im vergangenen Jahr annähernd auf dem Niveau von 2022.
Dass die gesamte Lebensmittelbranche unter Druck geraten ist, hat nach Ansicht von Atradius-Manager Michael Karrenberg vielfältige Gründe. Die insbesondere nach 2021 steigenden Nichtzahlungsmeldungen seien nach seinen Worten ein Hinweis darauf, dass die Wirtschaft während der Pandemie mithilfe staatlicher Unterstützungsprogramme durch diese Krise gekommen sei. Dann wurden die Unternehmen aufgrund des Russland-Ukraine-Krieges mit steigenden Energie- und Rohstoffkosten sowie der hohen Inflation konfrontiert. „Diese konnten viele Unternehmen nur teilwiese und auch nur verzögert an deren Kunden weitergeben, denn am Ende der Kette steht meistens der Lebensmitteleinzelhandel, der Preiserhöhungen oft einen Riegel vorschiebt“, sagt Michael Karrenberg. Vor allem die Hersteller von Ölen, Fetten, Zucker, Brot oder Schokolade seien im Vergleich zu Obst und Gemüse stärker von steigenden Energie- und Rohstoffkosten betroffen gewesen.
Dennoch steht die Fleischbranche derzeit vor den größten Herausforderungen. Die volatilen Marktpreise haben Auswirkungen auf die verschiedenen Verarbeitungsstufen. Gleichzeitig steigen die Kosten weiter unter anderem aufgrund erhöhter Mindestlöhne, dem Verbot von Werksverträgen sowie durch den Fokus von Politik und Verbänden auf verbesserte Haltungsformen. Eine weitere wesentliche Ursache für die Schieflage der Fleischbranche ist nach Ansicht des Atradius-Risikoanalysten aber auch das geänderte Ernährungsverhalten der Verbraucher. Dabei lassen sich aus seiner Sicht klare Trends erkennen: Zwar sinke der Verbrauch, aber nicht der Ausgabenanteil bei Fleisch. Die Konsumenten kauften weniger, aber dafür qualitativ höherwertiges Fleisch. Der Fokus liege auf Nachhaltigkeit.
Transfomation der Fleischbranche beschleunigt sich
Zwar gab es nach den Worten des Atradius-Experten im vergangenen Jahr keine größeren Insolvenzen in der Fleischbranche, aber das könne sich in diesem Jahr ändern. „Die Transformation der Branche wird sich aufgrund der geänderten Bedingungen beschleunigen“, sagt Michael Karrenberg und ergänzt: „Die Marktführer in der Fleischschlachtung werden mit ein paar Schrammen davonkommen, aber für kleinere Marktteilnehmer oder Verarbeiter dürfte sich die Situation in diesem und dem kommenden Jahr verschärfen.“ Ein Indiz dafür könnten bereits die gesunkenen Produktionszahlen sein. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2023 rund 6,8 Millionen Tonnen Fleisch produziert – vier Prozent weniger als im Vorjahr. Damit sank die heimische Fleischproduktion seit dem Rekordjahr 2011 und einer relativ stabilen Entwicklung bis 2017 das siebte Jahr in Folge.
Sofern Marktteilnehmer dazu finanziell in der Lage sind und das Know-How haben, bietet die Transformation aber auch Chancen, die Produktpalette auf ein sich änderndes Konsumverhalten anzupassen, zum Beispiel durch fleischlose Produkte, sowie ein stärkerer Fokus auf Nachhaltigkeit, Regionalität und Transparenz. Dass Fleischpreise während dieses Transformationsprozesses dauerhaft steigen, ist nach Ansicht von Atradius unausweichlich.