„Die Absatzzahlen sind trügerisch”

Atradius Informationen

Drei Fragen an Jens Stobbe, Risikoexperte und Automobilspezialist beim internationalen Kreditversicherer Atradius, zur aktuellen Situation in der deutschen Automotive-Landschaft.

Deutschlands Autobauer haben ihre weltweiten Absatzzahlen im Jahr 2023 durchweg gesteigert. Gleichzeitig soll die Branche in einer Krise sein. Wie passt das zusammen?

Die Absatzzahlen sind trügerisch, die Situation der deutschen Automobilindustrie verschlechtert sich in diesem Jahr weiter – insbesondere bei den Zulieferern, aber bald auch bei den Herstellern. Die Zulieferer hängen an den Absatzplanungen der Autobauer – und deren Aussichten trüben sich ein. Die Nachfrage nach Fahrzeugen der europäischen Autohersteller in China schwächelt. Der deutsche Markt wuchs im vergangenen Jahr zwar einstellig, doch die Hersteller profitierten 2023 von Nachholeffekten. Dieser Bestellpuffer ist nun abgebaut.

Wie schlimm ist es aus Ihrer Sicht? 

Nach einer internen Auswertung verzeichneten wir im Jahr 2023 gegenüber 2022 einen deutlich spürbaren Anstieg der Schadenfälle im Automotive-Zulieferbereich. Die zunehmenden Risiken sind deutlich spürbar, der Anstieg lag im vergangenen Jahr im zweistelligen Prozentbereich, wenn auch noch unter 20 Prozent. Schon im Jahr 2022 gab es eine erhöhte Anzahl an Insolvenzen im Zulieferbereich. Das Vorkrisenniveau wurde im Laufe des Jahres 2023 erreicht.

Grund für die Turbulenzen bei den Zulieferern sind die verhaltenen Aussichten der Hersteller. Ihre Abnahmezahlen sind geringer als erwartet, das macht die Planungen der Zulieferer zunehmend unsicher. Auch ist die Zeit der Rabatte zurückgekehrt, die Margen der Zulieferer geraten dadurch unter Druck. Belastend wirkt sich zudem die gekippte Förderung für Elektroautos aus, die den Absatz in diesem Jahr deutlich ausbremsen dürfte. Das Ziel von 15 Millionen E-Autos in Deutschland bis 2030 ist derzeit völlig unrealistisch. Die Preise für E-Fahrzeuge für Privatkunden sind im Moment wenig attraktiv. In der Folge werden die Insolvenzen unter den Zulieferern und die von ihnen verursachten Zahlungsausfälle weiter steigen. 

Was kann helfen aus Ihrer Sicht?

Uns bereitet vor allem die hiesige Entwicklung in Sachen Elektromobilität gegenüber China Sorge. An vielen Stellen ist der Vorsprung westlicher Automobilhersteller bereits verlorengegangen. Wir rechnen damit, dass die Hersteller aus dem Reich der Mitte in naher Zukunft verstärkt mit günstigen E-Fahrzeugen auf den deutschen und europäischen Markt drängen werden. Damit würde der Anreiz zum Kauf eines E-Autos deutlich gesteigert. Der Vorteil chinesischer Hersteller ist derzeit, dass sie Fehler schneller beheben und sich zügig den Marktgegebenheiten anpassen. Auch sind die Modelle aus Fernost häufig günstiger als die der Automarken hierzulande. Um dem entgegenzusteuern, müssten die heimischen Hersteller zeitnah mehr E-Fahrzeuge im niedrigen und mittleren Preissegment anbieten.