Atradius Zahlungsmoralbarometer 2019 - Deutschland

Zahlungsmoralbarometer

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22 Okt 2019

Deutschland: Zahlungsausfälle verdreifachen sich innerhalb eines Jahres

Deutschlands Wirtschaftswachstum wird sich 2019 von 1,6 % im Vorjahr auf voraussichtlich 0,6 % abschwächen. Der Rückgang in der verarbeitenden Industrie (insbesondere in der Automobilbranche) in Deutschland hat sich zwar auf ganz Westeuropa negativ ausgewirkt, doch federten deutsche Unternehmen und die Inlandsnachfrage diese Flaute bislang ab. Prognosen zufolge wird die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr um 1 % steigen und im kommenden Jahr stagnieren.

Starker Anstieg der gewährten Lieferantenkredite innerhalb eines Jahres

Die schwache Auslandsnachfrage und größere Unsicherheiten belasten die deutsche Industrie weiterhin. Kurzfristig bleiben die Aussichten für die exportabhängigen Industriebranchen getrübt. Insbesondere die Automobilbranche wird weiter mit  schwierigen äußeren Rahmenbedingungen sowie den Unsicherheiten hinsichtlich der Handelspolitik und der Verbrauchernachfrage zu kämpfen haben. Der Anteil der  Firmengeschäfte mit Zahlungsziel ist bei den deutschen Befragungsteilnehmern von 24,7 % im letzten Jahr auf 59,3 % drastisch gestiegen. In Westeuropa lag dieser Anteil bei 60,4 % und in Osteuropa bei 67,2 %. Damit verzeichnete Deutschland den dritthöchsten Anstieg unter den befragten Ländern in Westeuropa – nach der Schweiz (65,6 % gegenüber 28,1 % im letzten Jahr) und Österreich (65,3 % gegenüber 29,5 % im Vorjahr). Die häufigere Nutzung von Zahlungszielen weist darauf hin, dass die Unternehmen höhere Forderungsrisiken zunehmend akzeptieren, um ihre Umsätze im In- und Auslandsgeschäft zu sichern. Geschäfte „auf Rechnung“ sind im internationalen Wettbewerb häufig ein wichtiges Kriterium, damit ein Lieferant oder Dienstleister einen Auftrag überhaupt bekommt. Damit geht er aber ein höheres Risiko ein, denn seine Liquidität ist letztlich vom Zahlungsverhalten des Kunden abhängig. Angesichts der verhaltenen Aussichten in der deutschen Automobilbranche und der verarbeitenden Industrie dürfte die Wachstumsrate der deutschen Wirtschaft in den kommenden Monaten wohl moderat bleiben.

Die Zahlungsziele sind größtenteils mit dem letzten Jahr vergleichbar

Im derzeit schwierigen Geschäftsumfeld (Handelskonflikte und Brexit) widerstrebt es den deutschen Befragungsteilnehmern offenbar, ihren Firmenkunden längere Zahlungsziele
zur Rechnungsbegleichung als im letzten Jahr einzuräumen. In Deutschland liegen die Zahlungsfristen bei 21 Tagen (gegenüber 22 Tagen im letzten Jahr). Damit sind die durchschnittlichen Zahlungsfristen in Deutschland am zweitkürzesten in Westeuropa (34 Tage). Bei osteuropäischen Unternehmen lag das durchschnittliche Zahlungsziel zuletzt bei 37 Tagen.

Deutsche Lieferanten prüfen besonders häufig die Bonität ihrer Kunden

Analog zur stärkeren Nutzung von Lieferantenkrediten legen die deutschen befragten Unternehmen im Rahmen ihres Forderungsmanagements großen Wert auf die Prüfung der Bonität ihrer Kunden. Den Befragungsergebnissen zufolge prüfen deutsche Unternehmen (45 %) die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden insgesamt häufiger als die befragten Unternehmen in Westeuropa (36 %) und Osteuropa (39 %). Gleichzeitig gewähren deutsche Befragungsteilnehmer (36 %) eher Skonto für die vorzeitige Bezahlung von Rechnungen als ihre Kollegen in Westeuropa (21 %) und Osteuropa (18 %). Bei überfälligen Rechnungen betreiben weitaus mehr deutsche Befragungsteilnehmer
(38 %) Mahnaktivitäten (Erinnerungen an ausstehende Rechnungen) als die befragten Unternehmen in Westeuropa (28 %) und Osteuropa (36 %).

Weniger effizientes Inkasso schmälert die Rentabilität

Im vergangenen Jahr waren 23,8 % des Gesamtwerts der von den deutschen befragten Unternehmen ausgestellten Rechnungen am Fälligkeitstag noch nicht bezahlt. Nach Dänemark (20,3 %) und den Niederlanden (23,6 %) ist das der drittniedrigste Wert in Westeuropa (28,9 %). Im Einklang mit der häufigeren fristgerechten Zahlung (72,7 % gegenüber 61,5 % im Vorjahr) hat sich auch der Zeitraum von der Rechnungsausstellung bis zum Zahlungseingang überfälliger Rechnungen in Deutschland gegenüber dem vergangenen Jahr spürbar verkürzt (durchschnittlich 36 Tage gegenüber 39 Tagen im vergangenen Jahr). Diese positive Entwicklung entspricht den Ergebnissen für die gesamte Region, in der die Zahlungsdauer von 57 Tagen im vergangenen Jahr auf durchschnittlich 51 Tage zurückgegangen ist. Zur Überbrückung potenzieller Liquiditätsengpässe, die durch verspätete Zahlungen entstehen, mussten 31 % der befragten deutschen Unternehmen allerdings konkrete Gegenmaßnahmen ergreifen. 23 % der Befragungsteilnehmer haben Zahlungen an ihre eigenen Lieferanten hinausgezögert oder sich zusätzliche Finanzmittel aus externen Quellen beschafft. Laut Angabe von 45 % der Befragungsteilnehmer haben sich Zahlungsverzögerungen jedoch nicht wesentlich auf ihr Unternehmen ausgewirkt. Dieses Ergebnis ist ein Indiz dafür, dass sich die befragten deutschen Unternehmen stark auf das Forderungsmanagement
konzentrieren. Gleichzeitig fällt aber auch auf, dass in Deutschland der Anteil von Forderungen, die als uneinbringlich abgeschrieben werden mussten, deutlich gestiegen ist: Sie betrugen zuletzt durchschnittlich 2,1 % des Gesamtwerts des Umsatzvolumens der deutschen Befragungsteilnehmer im Firmengeschäft (gegenüber weniger als 1 % im vergangenen Jahr). In Westeuropa lag dieser Anteil im Mittel bei 2,2 % und in Osteuropa bei 1,6 %. Dieses Ergebnis verdeutlicht die geringere Effizienz beim Inkasso überfälliger Forderungen in Deutschland, was letztlich die Rentabilität der Unternehmen
schmälert.

Bei der Zahlungsmoral der Kunden erwarten mehr deutsche Befragungsteilnehmer eine Verschlechterung als eine Verbesserung

Nach Meinung von 59 % der befragten deutschen Unternehmen wird sich die Zahlungsmoral ihrer Firmenkunden in den kommenden Monaten nicht wesentlich verändern. Diese Meinung teilen in Westeuropa 55 % und in Osteuropa 60 % der Befragungsteilnehmer. Der Anteil der befragten deutschen Unternehmen, die eine Verschlechterung der Zahlungsmoral ihrer Kunden in den nächsten Monaten erwarten, ist höher (25 %) als der Anteil der Befragungsteilnehmer, die von einer Verbesserung ausgehen (16 %). Vor allem rechnen 40 % der befragten Unternehmen in den kommenden Monaten mit einer Zunahme verspäteter Zahlungen. 25 % der Befragungsteilnehmer äußerten in Bezug auf den Anteil der Abschreibungen im gleichen Zeitraum Bedenken. Um sich besser gegen das Risiko von Forderungsausfällen ihrer Kunden abzusichern, wollen 38 % der deutschen Befragungsteilnehmer die Bonität ihrer Kunden häufiger prüfen oder eine Forderungsausfallversicherung abschließen. 36 % planen die Beauftragung eines Inkassounternehmens, um die Effizienz beim Inkasso überfälliger Forderungen zu erhöhen. Aus Sicht von 47 % der deutschen Befragungsteilnehmer werden die finanziellen Bedingungen in den kommenden Monaten nicht angespannter
sein. Sollte jedoch der Zugang zur Bankfinanzierung im gleichen Zeitraum schwieriger werden, wollen 38 % der befragten deutschen Unternehmen ihr Personal aufgrund des Kapitalmangels abbauen oder geschäftliche Investitionen hinauszögern.

Überblick über die Zahlungsmoral in Deutschland

Nach Branchen

Firmenkunden der deutschen Baubranche werden die längsten Zahlungsziele
eingeräumt. Im Landesvergleich haben Befragungsteilnehmer aus der Baubranche ihren Firmenkunden die längsten Zahlungsziele (durchschnittlich 35 Tage ab Rechnungsdatum) eingeräumt. Bei den anderen befragten Branchen in Deutschland reichen die durchschnittlichen Zahlungsfristen von 26 Tagen im Transportsektor bis zu 19 Tagen in der Metall- sowie der Agrar- und Nahrungsmittelbranche.

Verspätete Zahlungen in Chemiebranche laut Befragung deutlich erhöht

Laut Angaben der Befragungsteilnehmer hat im vergangenen Jahr die Zahlungsmoral bei den Abnehmern der deutschen Chemieindustrie spürbar nachgelassen, 33 % des Gesamtwerts aller Rechnungen waren zum Fälligkeitstermin nicht beglichen. Die Branche für langlebige Verbrauchsgüter verzeichnete die stärkste Verbesserung der Zahlungsmoral ihrer Kunden im vergangenen Jahr. Tendenziell hat sich das Kreditrisiko in der deutschen Metallindustrie im gleichen Zeitraum am stärksten erhöht.

Höchster Anteil uneinbringlicher Forderungen in der Transport- und Maschinenbaubranche

Die Branchen Transport und Maschinenbau verzeichneten den höchsten Anteil der als uneinbringlich abgeschriebenen Forderungen im Firmengeschäft (2,7 % bzw. 2,4 %). Am unteren Ende der Skala rangiert die Branche für langlebige Verbrauchsgüter, in der durchschnittlich 1,1 % der Forderungen als uneinbringlich abgeschrieben werden mussten.

Überblick über die Zahlungsmoral in Deutschland

Nach Unternehmensgröße

Deutsche KMU räumten im Durchschnitt die längsten Zahlungsfristen für Firmenkunden ein

Die befragten deutschen KMU räumten ihren B2B-Kunden mit durchschnittlich 24 Tagen ab Rechnungsdatum die längsten Zahlungsfristen ein. Im Durchschnitt ähnliche Zahlungsfristen werden von Großunternehmen eingeräumt. Demgegenüber
boten Kleinstunternehmen ihren Firmenkunden die kürzesten Zahlungsfristen (durchschnittlich 14 Tage ab Rechnungsdatum) an.


Deutsche Kleinstunternehmen treiben überfällige Rechnungen am schnellsten ein


Im vergangenen Jahr hat sich die Zahlungsmoral der Firmenkunden deutscher Kleinstunternehmen deutlich verbessert. Der Anteil der fristgerecht bezahlten Rechnungen stieg von 60 % im Vorjahr auf 86 %. Aufgrund dieser Verbesserung treiben deutsche Kleinstunternehmen überfällige Rechnungen nun am schnellsten ein (durchschnittlich innerhalb von 19 Tagen ab Rechnungsstellung gegenüber 31 Tagen im letzten Jahr). Allerdings sind durchschnittlich 27 % des Gesamtwerts der von KMU und Großunternehmen in Deutschland ausgestellten Rechnungen überfällig. Dadurch verlängerte sich der durchschnittliche Zeitraum von der Rechnungsstellung bis zum Zahlungseingang bei KMU (durchschnittlich 43 Tage gegenüber 40 Tagen im letzten Jahr). Demgegenüber ist dieser Zeitraum bei Großunternehmen kürzer als im Vorjahr (durchschnittlich 37 Tage ab Rechnungsstellung gegenüber 44 Tagen
im letzten Jahr).

Deutsche KMU verzeichneten den höchsten Anteil bei den uneinbringlichen Forderungen

Aufgrund des längeren Zeitraums von der Rechnungsstellung bis zum Zahlungseingang hat sich die Lage der deutschen KMU in Bezug auf die Eintreibung überfälliger Forderungen deutlich verschlechtert. 2,7 % der Rechnungen im Firmengeschäft mussten als uneinbringlich abgeschrieben werden (gegenüber 1 % im letzten Jahr). Bei Großunternehmen liegt der Anteil im Durchschnitt bei 2 % (gegenüber weniger als 1 % im letzten Jahr) und bei Kleinstunternehmen bei weniger als 1 % (konstant im Vergleich zum Vorjahr).